Die Heizung vom Dach einer Grossüberbauung

Eine Grossüberbauung in Genf wird saniert und neu mit sieben grossen Wärmepumpen auf dem Flachdach klimafreundlich beheizt. 

«Wir standen vor vielen Herausforderungen»

«Die Liegenschaft erhält durch die Sanierung ein zweites Leben», sagt Pascal Chapuis von der Immobilienverwaltung Wincasa. Die Grossüberbauung mit 196 Wohnungen an der «Rue de La Montagne» in Chêne-Bougeries, einer Vorortsgemeinde Genfs, war in die Jahre gekommen. Das winkelförmige Gebäude mit Baujahr 1965 entsprach weder vom Ausbaustandard noch von der Energieeffizienz her den heutigen Anforderungen. Die Totalsanierung der Liegenschaft aber bedeutete ein mehrjähriges Grossprojekt. «Wir standen vor vielen Herausforderungen: die Grösse der Liegenschaft, das Heizsystem, die sanitären Einrichtungen, Asbest an vielen Stellen und in vielen Materialien, die schlechte Isolierung der Fassaden sowie die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mieterschaft. Hinzu kam, dass fast alle Wohnungen belegt waren. Unsere Teams mussten erfinderisch sein», sagt Chapuis. Die Besitzerin, die Anlagestiftung der Credit Suisse (CSA Real Estate), hat sich der Nachhaltigkeit verpflichtet. Sie verfügt mit 424 Liegenschaften bzw. rund 13’500 Wohnungen über eines der grössten Immobilienportfolios der Schweiz. Dieses wird, einem CO2-Absenkungspfad folgend, schrittweise klimafreundlich. Die Investitionen dazu sollen sozial verträglich umgesetzt werden, so wie es das Nachhaltigkeitskonzept vorsieht. 

Kompromissbereitschaft gefragt

Für die Mieterinnen und Mieter bedeuteten die Umbaupläne einen grossen Einschnitt in ihr gewohntes Leben. Viele von ihnen wohnten bereits seit über 30 Jahren in der «Montagne» und mussten sich nun mit unangenehmen Fragen auseinandersetzen. Würden die Mietzinse steigen? Müssten sie allenfalls temporär ausziehen? Wie würden sich Baulärm und Baustaub auswirken? Nicht nur solche Fragen tauchten auf, es regte sich auch Widerstand gegen die Sanierungspläne. Die Diskussionen zwischen der Groupe Montagne, welche die Interessen der Mieterschaft vertritt und zwischen der Verwaltung sowie der Eigentümerschaft waren zeitweilig sehr intensiv. «Das ist in einer solchen Situation auch verständlich», sagt Chapuis.

Alle Beteiligten, Besitzerin, Mieterinnen und Mieter, Verwaltung, die Generalunternehmung sowie die Gemeinde, erreichten schliesslich im Dialog Lösungen für alle Herausforderungen. Dazu Chapuis: «Wir haben die Bedürfnisse der Mieterschaft berücksichtigt. Dort, wo dies nicht möglich war, suchten wir einen Kompromiss». So konnten die Mieterinnen und Mieter zum Beispiel bei der Inneneinrichtung mitreden.

Mehr Wohnqualität dank Sanierung

In Bezug auf die Energieeffizienz war der Handlungsbedarf unbestritten. Die Mieterinnen und Mieter hatten im Winter bislang die Wahl zwischen frieren oder hohen Heizkosten. «Dank der besseren Dämmung wird sich einerseits die Wohnqualität verbessern und anderseits werden die Energiekosten massiv sinken – nicht zuletzt, weil wir auf erneuerbare Energie umsteigen», erklärt Chapuis.

Seit Mitte 2020 ist die Rue de la Montagne eine Grossbaustelle. Im Verlauf der Planung hatte sich herausgestellt, dass es unmöglich sein würde, das Gebäude während der Sanierung zu bewohnen: Für die Mieterinnen und Mieter, deren Hausteil gerade saniert wurde, mussten Zwischenlösungen gefunden werden. «Glücklicherweise konnten wir Wohnungen in der Nachbarschaft dazu mieten», sagt Chappuis. Die Hausteile werden nun bis Mitte 2023 etappenweise modernisiert und die gesamte Überbauung zudem um zwei Stockwerke erhöht. Dadurch werden 49 neue Wohnungen entstehen. 

Wärmetechnologie für Grossüberbauungen

Beim Heizungsersatz ging die Besitzerin der Liegenschaft neue Wege. Weil die Gemeinde Chêne-Bougeries bisher nicht an das Genfer Fernwärmenetz angeschlossen ist, entschied sich die CSA Real Estate auf die Wärmepumpentechnologie zu setzen. Das brachte mehrere Herausforderungen mit sich. «Die Luft-Wasser-Wärmepumpe funktioniert hervorragend für Einfamilienhäuser und kleinere Mehrfamilienhäuser, lässt sich aber nicht eins zu eins auf eine Grossüberbauung übertragen. Dafür mussten zuerst neue Energiekonzepte entwickelt werden. Auch die Installation auf dem Dach war neu und erforderte genaue Abklärungen über die Statik», so Matthias Rüetschi, Projektleiter bei den Services Industriels de Genéve (SIG). Die halbstaatliche SIG unterstützt private und staatliche Bauherren bei der Realisierung von innovativen Energieprojekten und fördert dadurch den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis.

Auf dem 200 Meter langen Winkelflachdach wurden sieben grosse, je zwei Tonnen schwere Wärmepumpen installiert. Sie liefern rund 90 Prozent der Wärmeenergie der Liegenschaft, in Peakzeiten kann zusätzlich mit Gas geheizt werden. Von den Heizungsfachpersonen, deren Arbeit bislang vor allem im Keller stattfand, war Schwindelfreiheit gefragt. Gerade während der Installations- und Bauarbeiten stellte jede Fahrt mit dem ruckelnden, halboffenen Baustellenlift der Aussenfassade entlang auf das Dach der Liegenschaft eine kleine Mutprobe dar. Belohnt wurde sie mit einer grandiosen Aussicht über die Stadt Genf und den Lac Léman bis weit nach Frankreich.

 

«Die Subventionen sind ein wichtiger Beitrag»

Gebäudeprogramm ermöglicht innovative
Lösungen

Die Fördergelder aus dem Gebäudeprogramm trugen massgeblich dazu bei, dass die innovative Heizlösung zustande kam. «Die Subventionen decken zwar nicht alle Mehrinvestitionen, aber sie sind ein wichtiger Beitrag», sagt Chapuis. Die Anlagestiftung sieht ihre gesellschaftliche Verantwortung auch darin, gemeinsam mit Partnern innovative Technologien voranzutreiben. Wirtschaftlich werden diese, wenn daraus neue Standards entwickelt werden können. Das ist in diesem Fall gelungen. «Dank dieses Wissensaustauschs konnte ein Leitfaden für die Installation von Luft-Wasser-Wärmepumpen auf Dächern erstellt werden», sagt Rüetschi. Das Genfer Projekt überlegt sich eine Kandidatur für den «Prix Watt d’Or».